"Dann nimmt er aber keine Leckerchen"/Futterbelohnungen in stressigen Situationen
Gibt man das Wort „Hundeleckerchen“ in die Google Suche ein, hat man binnen Bruchteilen von Sekunden Tausende Treffer.
Es gibt industriell gefertigte Hundebelohnungshappen in jeder Größe, Form und in jeder erdenklichen Geschmacksrichtung. Es finden sich Leckerchenpasten fertig zubereitet in Tuben und Sprühflaschen, sowie Tuben, Kruken und Schleckerchen zum selbst befüllen, Backrezepte und Backmatten für den Allergiker-Hund oder den Hundehalter mit viel Lust zum Selbermachen. Der Industriezweig rund um die Belohnungen für unseren besten Freund deckt so gut wie alle Vorlieben und Wünsche ab.
Leckerchen für jede Gelegenheit, so könnte man meinen. Und doch hat das wohl fast jeder Hundehalter schon erlebt: Der Hund verschmäht das Leckerchen, obwohl doch genau das sonst seine Lieblingskekse sind. Solche Situationen kann man nahezu überall beobachten:
Zum Beispiel ein Junghund, der es schafft in Gegenwart seiner Lieblingsspielpartner ein „Sitz“ zu zeigen. Der Hundehalter will seinen Hund für diese, für Alter und Ablenkungsgrad, recht schwere Übung belohnen. Der Hund wendet aber den Kopf ab und mag seine Belohnung gar nicht fressen.
Es ist keine gute Idee dem Hund auf Teufel komm raus den Keks ins Maul schieben zu wollen und ja, es gibt Menschen, die das versuchen. „Er soll doch wissen, dass er das gut gemacht hat“. Eine Belohnung soll eine bestätigende Rückmeldung sein und gleichzeitig als Verstärker dienen, damit das gewünschte Verhalten in Zukunft häufiger auftritt. Wenn unser Leckerchen im Sinne der Lerntheorie als positive Verstärkung funktionieren soll, dann muss es in der gegebenen Situation tatsächlich auch eine Belohnung für den Hund darstellen.
Positive Verstärkung bedeutet, dass etwas Angenehmes hinzugefügt wird. Wenn Sie dem Hund den Keks fast schon mit Gewalt ins Maul schieben müssen, dann trifft diese Definition wohl nicht mehr zu.
Wann immer also ein Hund gerade nicht in der Lage ist eine Futterbelohnung zu nehmen, muss man überlegen, wie die Bedürfnislage des Hundes in diesem Moment gerade ist.
Im Falle des Beispieles des jungen Hundes, der ein „Sitz“ zeigt, obwohl andere Hundekumpels in der Nähe sind, ist das eventuell das Spielen mit anderen Hunden. Nun könnte ich also zum einen dem Hund zur Belohnung einen Keks anbieten.Wenn er diesen nicht nehmen kann oder mag in der Situation, ist das also kein guter Verstärker. Eine bessere Option wäre es, ihn nach dem erfolgreichen „Sitz“ zu markern oder zu loben und ihn dann gezielt zum Spielen mit den anderen Hunden zu schicken. Natürlich nachdem man sich vorher rückversichert hat, dass das für die anderen Hundehalter und Hunde in Ordnung ist. In der selben Situation können die Gründe für das Verweigern des Leckerchens aber auch völlig andere sein. Der Hund könnte zum Beispiel Angst vor seinen Artgenossen haben. Hier wäre der wirksamste Verstärker dann eine Vergrößerung der Distanz zu den anderen Hunden.
In der Situation ein Leckerchen? Unter Angst vergeht nicht nur Hunden schnell der Appetit.Ein menschliches Beispiel: Man wird nachts wach, weil man Schritte im Haus gehört hat. Es ist dunkel, es knackt und man hört seltsame Geräusche aus dem Untergeschoss. Na, Lust auf was zu essen? Natürlich nicht. Ihr ganzen System ist auf Gefahr und Überleben ausgerichtet, egal wie gut die Pralinen auf dem Nachtisch aussehen, die werden Sie nicht essen wollen.
Manche, sehr ängstliche Hunde, befinden sich draußen häufig in genau diesem Zustand von Angst. Und dann kann man nicht essen und man kann nicht spielen, man muss die Gefahr im Auge haben.
Hier ist das große Problem nicht, dass der Hund draußen keine Leckerchen nimmt, dass Problem ist, das der Hund sich in einem emotionalen Angstzustand befindet. Wenn ich an diesem arbeite, erfolgreich, mit Unterstützung und den richtigen Verstärkern, dann kann mein Hund auch draußen irgendwann eine Futterbelohnung annehmen.
Vielleicht ist unser Junghund in der Trainingssituation einfach zu aufgeregt, um eine Futterbelohnung zu nehmen. Da wäre es zunächst sinnvoll,die Erregungslage für den Hund soweit senken, dass er noch gut ansprechbar ist. Im Training kann man solche Bedingungen planen und das „Sitz“ mit einem jungen Hund zu Beginn ohne, oder aber nur mit wenig Ablenkung üben. Immer so, dass der Hund noch in der Lage ist, auch eine Futterbelohnung anzunehmen. Manchmal kann es bei starken Ablenkungsreizen auch helfen, auf andere Leckerchen zurückzugreifen: Käse anstelle von Trockenfutter, kleine leicht zu schluckende Bröckchen anstelle von krachenden Hundecrackern. Es kann einen Versuch wert sein, eine Futtertube oder ein Schleckerchen auszuprobieren, da das Ablecken von kleinen, kontinuierlich kommenden Futterportionen, beruhigend wirken kann. Vor allem wenn der Hund in schwierigen Situationen stehen oder sitzen bleiben muss, wie zum Beispiel bei Bus- oder Bahnfahrten, beim Tierarzt oder der Physiotherapie, sind solche Schleckangebote oft eine gute Lösung.Und wenn der Junghund in unserem Beispiel ein junger Rüde ist und während des Trainings den Geruch einer läufigen Hündin wahrnimmt hat er sicherlich auch andere Präferenzen als eine Futterbelohnung.
Grundsätzlich gilt:
Wenn ein Hund, der eigentlich gern frisst, in manchen Situationen nicht in der Lage ist Leckerchen anzunehmen, dann muss man sich gut anschauen, woran das liegen kann. Die Ursachen können vielfältig sein, er kann Angst haben, aggressiv sein, zu abgelenkt sein, sein Stresslevel liegt so hoch, das er schlicht nicht mehr fressen kann.
Fast jeder Hundehalter wird wohl einmal feststellen müssen, dass Futter in bestimmten Lebenslagen eben nicht als Belohnung eingesetzt werden kann.
Was ist dann zu tun?
Früher gab es von Hundetrainern gerne mal den Ratschlag: „Dann lass den mal zwei Tage hungern, dann arbeitet der auch für Futter“. Das sei gar nicht schlimm, in der Natur käme das Häschen auch nicht jeden Tag beim Wolf vorbei um sich fressen zu lassen. Das mag zwar stimmen, aber ihr Hund ist zum einen kein Wolf und zum anderen ein ganzes Leben lang an regelmäßige Mahlzeiten gewöhnt worden. Er wird also vor lauter Hunger große Mühe haben, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren und schnell frustriert sein, wenn die Futterbelohnung für einen längeren Moment ausbleibt. Anstatt zu versuchen über Nahrungsentzug dafür zu sorgen, dass unser Futter in allen Lebenslagen wichtig für den Hund ist, sollte man sich lieber nach alternativen Belohnungsmöglichkeiten umschauen.
Eine gute Möglichkeit ist es, sich eine Liste anzufertigen, auf der man die Dinge und Aktivitäten notiert, die dem Hund am wichtigsten im Leben sind.
Das fällt vielen Menschen zu Beginn nicht ganz leicht. Nehmen Sie sich Zeit dafür, beobachten Sie ihren Hund gut und schreiben Sie dann auf, was er gern tut. Als kleines Beispiel, hier ein Auszug von der „YEAH-Liste“ meiner Hunde:
Frisbees fangen, Geruchssäckchen suchen, Maulwurfshügel umbuddeln, mit mir rennen, mich anspringen dürfen, mit anderen Hunden spielen, auf der Couch gekrabbelt werden, Leckerchen suchen, Häschen jagen, ...Ein paar Dinge auf dieser Liste sind schlichtweg nicht möglich, oder nicht zu jedem Zeitpunkt einsetzbar: Meine Hunde dürfen keine Hasen jagen, warum steht es dann trotzdem auf der Liste? Zu wissen, dass der Hund das gerne würde, hilft in der Wahl einer bedürfnisgerechten Belohnung ungemein weiter. Auch wenn man das „Häschen jagen“ als Belohnung weder einsetzen darf noch mag, so kann man sich um eine gute Alternative bemühen. Meine verstorbene Windhündin Benda zum Beispiel, hatte einen ordentlichen Jagdtrieb. Als ich angefangen habe mit ihr daran zu arbeiten, habe ich mit Leckerchen begonnen: Jedes ruhige Anblicken von Krähen, Hasen etc. (natürlich an der Schleppleine gesichert) wurde gemarkert und mit einem Leckerchen belohnt. Je näher die Jagdobjekte waren, umso weniger Interesse hatte sie die Leckerchen zu nehmen. Bei Raclette Käse ging es noch ganz gut, an Trockenfutter hatte sie keinerlei Interesse mehr.
Wenn man in dieser Situation überlegt was genau nun das Bedürfnis des Hundes ist, dann sieht man, dass Fressen dabei nicht unbedingt an erster Stelle steht, sie wollte das Häschen wohl eher jagen.
Ich habe also ein Felldummy gekauft, dieses an eine Schnur gebunden, damit es sich herrlich zum Jagen eignet und habe mit Benda damit gespielt. Sie liebte das fellige Teil sofort, also fing ich an, es gezielt als Belohnung für das Antijagd-Training einzusetzen und konnte sie nun wirklich bedürfnisgerecht für ihr gutes Verhalten bestätigen.
Der Felldummy stand in dieser Situation deutlich höher im Kurs als die Leckerchen. Durch die Wahl des passenden Verstärkers, ist das Training wesentlich effizienter geworden.
Wichtig ist also: Beobachten Sie Ihren Hund und erkennen Sie, warum er in bestimmten Situationen keine Kekse nehmen kann. Erwägen Sie auch andere Belohnungsmöglichkeiten außer Futter.
Wenn Sie Anregungen dazu suchen, auf der Seite www.easy-dogs.net finden Sie viele Beispiele von Belohnungslisten. Stöbern Sie einmal durch, dann fällt es manchmal etwas leichter, Belohnungen für den eigenen Hund zu erkennen.
Ganz einfache Grundregeln:
Ist er zu gestresst → Stress reduzieren
Ist er zu abgelenkt → zunächst in reizärmerer Umgebung üben, Anforderungen langsam steigernNicht immer liegt die Lösung also darin, bessere Leckerchen zu besorgen.
Gutes Hundetraining findet in entspannter Atmosphäre statt, mit Spaß und Freude und es ist unsere Aufgabe, diese für den Hund zu gestalten.
Erschienen in der SitzPlatzFuss Sonderausgabe 3 2014
Autorin: Manuela Zaitz
Bilder mit freundlicher Genehmigung des Cadmos Verlages