Was ist überhaupt „Gewalt“ in Bezug auf Hundeerziehung
und wo ziehst du ganz persönlich die Grenze beim Einsatz von Methoden, Trainingstechniken oder Umgangsformen, die du bereit bist anzuwenden? Gewalt in der Hundeerziehung beginnt für mich nicht erst bei körperlicher Gewalt. Für viele Menschen ist es ganz offensichtlich Gewalt, wenn ein Hund geschlagen oder getreten wird. Manche Trainer stellen Tritte auch als „Berührungen“ dar, die genutzt werden, um einen Hund in seinem Verhalten zu korrigieren. Auch der in Leinenimpuls umbenannte Leinenruck ist für viele Menschen völlig in Ordnung. Ich sehe das anders. Ich möchte, dass die mir anvertrauten Hunde verstehen, was ich von ihnen wünsche, und das vermittele ich ihnen ohne derlei Impulse. Auch auf den Einsatz von psychischer Gewalt durch körperliche Einschüchterung, Bedrängen oder Anschreien verzichte ich.
Ich selbst habe früher auch anders gearbeitet. Ich habe Discs eingesetzt, mit Wasser gespritzt, in die Seite gepiekt. Ich habe das damals so gelernt und leider hat es auch funktioniert. Wirklich glücklich war ich damit nicht, aber augenscheinlich musste man das ja so machen, dann „funktionierte“ der Hund. Die meisten Signale habe ich zwar positiv aufgebaut, aber „schlechtes“ Verhalten wurde immer „korrigiert“.
Das Blatt wendete sich, als ich einen zweiten Hund bekam. Bei ihr funktionierten diese Methoden
- Gott sei Dank - nicht. Versuchte ich sie festzuhalten, wenn sie bei Hundebegegnungen ausgeflippte, zeigte sie rückgerichtete Aggression. Ich war mit meinem Latein am Ende. Strafen brachte gar keine Änderung des Verhaltens, auch nicht, wenn ich heftiger strafte.
Ich habe das große Glück gehabt, zur richtigen Zeit die richtigen Menschen zu treffen. Menschen, die mir ihren Weg gezeigt haben. Die geduldig mit mir waren, wenn ich in altes Verhalten zurückgefallen bin. Die mich mit Büchertipps, Studien und Infos versorgt und meine Fragen beantwortet haben.
Wenn neue Teams zu mir ins Training kommen, gebe ich den Menschen die gleiche Zeit zur Verhaltensänderung, die ich auch den Hunden einräume. Das kann bedeuten, dass ein Team mit Kettenwürger kommt, diesen zusätzlich zum Geschirr tragen darf, wenn der Mensch glaubt, er könne den Hund sonst nicht halten. Die Absprache ist dann aber immer, dass die Kette nur wenn er glaubt den Hund sonst nicht halten zu können, benutzt wird. Für diesen Fall ist die Leine in beides eingehakt, Geschirr und Halsband. Sobald der Mensch merkt, es geht auch ohne, hat er auch die Sicherheit den Kettenwürger abzulegen. Ich finde Würger aus vielen Gründen tierschutzrelevant. Würde ich aber Menschen direkt das Training verweigern, weil ich es so für richtig halte, würde ich wohl vielen den Umstieg in ein anderes Training sehr erschweren.
Auch dass ich einräume früher anders gearbeitet zu haben, schafft viel Vertrauen. Ich möchte nicht den moralischen Zeigefinger heben, ich habe es ja früher auch nicht besser gewusst.
Allerdings bedeutet das nicht, dass ich nicht vehement widerspreche, wenn jemand Gewalt verharmlost. „Ein Klaps auf den Hintern hat uns auch nicht geschadet. So ein kleiner Ruck macht dem Hund nichts.“ Wer sich FÜR Gewalt im Training entscheidet, auch psychische, der sollte dazu stehen und es sich nicht schönreden.
Ein umstrittenes Hilfsmittel, welches ich nach sorgfältigem Abwägen eventuell empfehle, ist ein Halti. Das ist in der ganzen Zeit tatsächlich einmal vorgekommen, bei der Konstellation einer 75 kg Dogge und einer deutlich leichteren Besitzerin. Bis das Training greift, würde ich nach sorgsamer Einweisung, Aufbau und begleitetem Training den Einsatz kurzfristig als Management-Maßnahme empfehlen. Ein Training ersetzt das Halti in keinem Falle!Ein großer Fehler, der häufig passiert, ist dass Menschen Training und Notfall-Situationen verwechseln. Wie häufig höre ich: „Aber was machst Du denn, wenn der Hund auf die Straße rennt, holst Du dann erstmal den Clicker raus?“ Natürlich nicht. Wenn ein Kind auf die Straße rennt, fange ich auch keine langatmige Erklärung über das nach rechts und links schauen an. Zur Not ziehe ich es an den Haaren von der Straße, bevor es überfahren wird. Das gleiche gilt für den Hund. Und danach mache ich mir ganz schnell Gedanken, wie man diese Notfall-Situation gezielt trainieren kann, um nicht immer wieder in die Bredrouille zu kommen und Gewalt anwenden zu müssen.
Unsere Hunde sind wundervolle, intelligente und fühlende Wesen, sie verdienen ein gewaltfreies und faires Training.
Sicherlich betrachte ich das Ganze auf eine ethisch-moralische Weise. Eine wunderbare Frage ist: Käme ich mit vertauschten Rollen klar? Wäre es für mich ok, wenn ich der Hund wäre, so trainiert zu werden?
Jeder Mensch hat seinen ureigenen Background. Ich bin gewaltfrei erzogen worden. Ich hatte Freunde, die nicht soviel Glück hatten. Die haben Grenzen allerdings weit häufiger übertreten als ich. So nachhaltig kann das erziehen mit Strafe also wohl nicht sein. Ist Training und Umgang mit dem Hund auf der Grundlage ausschließlich positiver Verstärkung möglich?
Training und Umgang ausschließlich mit positiver Verstärkung ist natürlich nicht möglich. Lerntheoretisch kann das gar nicht funktionieren, wir leben schließlich nicht im Labor und selbst da bezweifle ich, dass es möglich ist. Alleine die Einschränkung durch eine Leine, die notwendige Unterbrechung mit einem Geschirrgriff schließt ein Arbeiten mit rein positiver Verstärkung aus. Wenn mein Hund zum Beispiel Angst vor bestimmten Objekten hat und ich nutze das Heranpendeln im Training, nutze ich regelmäßig negative Verstärkung, das bedeutet: Etwas Ungangenehmes, nämlich der Angstauslöser, wird weggenommen.
Wenn ich ein Leckerchen vorenthalte, mit dem der Hund gerechnet hat, dann ist das negative Strafe, etwas für den Hund Angenehmes wird weggenommen.
Die Aussage mancher Hundehalter und leider auch Trainer, die behaupten, AUSSCHLIESSLICH mit positiver Verstärkung zu arbeiten, ist also lerntheoretisch falsch. Meist ist es einfach eine schlechte Formulierung des Standpunktes, auf Strafen zu verzichten.
Wie schätzt du die Hundeszene in Deutschland ein: Was ist „Mainstream“, wie arbeiten die meisten Trainer, die gehen die meisten Hundebesitzer mit ihren Hunden um?
Die Hundeszene in Deutschland objektiv einzuschätzen, fällt mir sehr schwer. Ich finde, wir alle diskutieren mehr über das Thema Gewalt in der Hundeausbildung, natürlich mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Meinungen. Die Trainer von „Trainieren statt dominieren“ haben ein sehr gutes Netzwerk, der Austausch auch im kleinen Kreis untereinander ist wunderbar. Natürlich trifft man immer wieder privat auch Menschen, die so ganz anders arbeiten. Mir gefällt es nicht, wenn ich sehe, wie an Hunden herumgerissen wird oder sie angezischt werden. Allerdings halte ich auch nichts davon, Menschen ungefragt (mein) Wissen aufzuzwängen. Ergibt sich ein Gespräch, wunderbar. Ansonsten halte ich mich einfach zurück und mache mit meinen Hunden mein Ding. Das Vorleben bringt viele Menschen viel eher zu der Frage: „Wie haben Sie das denn hinbekommen?“ und es ergibt sich eher ein Gespräch, als wenn ich ungefragt meine Meinung kund tun würde.
Je nachdem, welche TV Sendung gerade läuft, erlebe ich den Mainstream der Hundehalter. Wird in den Sendungen körperlich zurückgedrängt, sehe ich das häufiger, auch bei Neukunden. Wird in die Seite gekniffen, sehe ich das häufiger. Wird angezischt, begegnen mir zischende Menschen. Das traurige ist, dass so viele Menschen Dinge unreflektiert aus dem TV übernehmen.
Da wäre eigentlich die Verantwortung der Fernsehmacher gefragt. Wenn es gewaltfreies Hundetraining im TV gäbe, bei dem tatsächlich auch mal gezeigt wird, dass das auch bei schwierigen Hunden funktioniert, würde sich wahrscheinlich die Situation für viele Hunde spontan verbessern.
Natürlich gibt es Gefahren, wenn man sich Training einfach so aus dem Fernsehen abschaut. Häufig stimmt das Timinig nicht, oder die Grundlagen dahinter wurden nicht verstanden. Ein guter Trainer könnte manchmal in kurzer Zeit eine immense Verbesserung bringen. Jedoch: Die Menschen probieren es ohnehin einfach so mal aus. Da ist mir lieber, sie loben falsch, weil sie mein Training unreflektiert nachahmen, als dass sie falsch strafen, weil sie eine TV Sendung gesehen haben.
Was ist von Diskussionen im Internet zu diesem Thema zu halten?
Konstruktive Diskussionen zu diesem Thema halte ich für sehr wichtig. Ob das Internet dafür der richtige Ort ist? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen im Internet zu vergessen scheinen, dass auf der anderen Seite auch ein Mensch sitzt, mit Gefühlen und Background, mit Gedanken und Erfahrungen. Da wird gehetzt und persönlich beleidigt und ich frage mich ernsthaft, ob diese Menschen im „echten“ Leben auch so sind?
Ich diskutiere gerne dann und wann man mal mit. Weil ich glaube, dass man so auch die Menschen erreicht, die sich an diesen Diskussionen nicht aktiv beteiligen, diese aber durchaus verfolgen. Darum finde ich es sinnvoll, Infos bereitzustellen. Warum sollte man ein Verhalten auf diese Art trainieren und nicht auf eine andere, was sind die Gefahren bei nicht gewaltfreiem Training? Wenn man sich aus jeder Diskussion heraushält, könnte eben auch der Eindruck entstehen, dass es vielleicht doch nicht so schlimm ist, wenn man den Hund ein bißchen anzischt, in den Nacken stößt oder an der Leine ruckt.
Ich würde mir jedoch wünschen, dass diese Diskussionen sachlicher geführt werden.
Erschienen in der SitzPlatzFuss 17, Oktober 2014
Autorin: Manuela Zaitz
Bilder mit freundlicher Genehmigung des Cadmos Verlages